Die Bruderschaft
(Alpina 11/2015)

Die Brüderlichkeit ist kein leeres Wort. Sie hat nichts von einer realitätsfernen Abstraktion oder einer Floskel. Sei es innerhalb oder ausserhalb einer Loge: Jeder kann ermessen, was sie an Tiefem, Wahrem und Seltenem in sich birgt. Bruder zu sein ist alles andere als banal.

Gewisse Leute haben den hohen Anspruch dieses Ideals nicht erkannt, oder sie legen sich in voller Absicht keine Rechenschaft darüber ab. Sie flunkern, dass die Zugehörigkeit zu einer "Familie" von weltweit vier Mio. Brüdern mehr oder minder jener zu einem Serviceklub entspreche. Sie vergessen dabei alles, was die Bruderschaft der Freimaurer ausmacht. Diese Brüderlichkeit manifestiert sich im Tempel, in der Bruderkette. Es sind tiefverbundene Herzen. Ohne Bedingung, ohne Vorbehalt. Die Brüderlichkeit kennt kein "Wenn" und kein "Aber".

In der Brüderlichkeit findet eine tiefe Gemeinsamkeit ihren letztgültigen Ausdruck. Empathie und Hingabe beziehen ihren Wert v. a. aus der spirituellen Dimension. Diese ist umso wichtiger. Ja, sie ist entscheidend. Was macht unsere Brüderlichkeit so wertvoll? Wir teilen anspruchsvolle moralische Werte, hervorgegangen aus einem von der Transzendenz abgeleiteten Humanismus. Und wir suchen das gemeinsame Gute für eine Menschheit, in der jedes Mitglied als Teil eines grossen, kollektiven Projekts verstanden wird. Es geht um den Bau am idealen Tempel.

Die Brüderlichkeit weckt die Grosszügigkeit des Herzens, ohne eine Gegenleistung einzufordern. Sie bündelt die spirituellen Kräfte in einem hochgesteckten, edlen Ziel. In diesem Sinn bildet sie ein Schlüsselwort.

Pierre-Alexandre Joye (Übersetzung T. M.)

 

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