Heilige Architektur
(Alpina 12/2015)

Afghanische Taliban haben in Bamiyan die riesigen Buddhafiguren zerstört. Kürzlich hat das der Islamische Staat mit den Tempeln von Palmyra getan. Was empört uns daran? Diese Frage ruft nach einer differenzierten Antwort. Zunächst einmal zeugen diese Akte von fanatischer Intoleranz und unermesslicher Dummheit. Über sie aufgebracht zu sein ist legitim. Kulturgüter anzugreifen, die unter dem Weltkulturschutz der Unesco stehen, bedeutet einen Bruch mit internationalem Recht – oder mit dem, was von diesem übrig geblieben ist. Folgt man bestimmten Experten, so sind diese Schandtaten Vergehen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Zudem müssen die Beweggründe für diese Barbarei aufgezeigt werden. Gewiss, die Islamisten von heute haben nichts Neues erfunden, wenn sie Bauten zerstören, die von einer anderen Sicht der Welt und des Heiligen zeugen. Stein für Stein wurden schon die aztekischen Tempel von Tenochtitlan dem Erdboden gleich gemacht – im Namen des "wahren Gottes". Hernán Cortés handelte mit derselben Blindheit und Zerstörungswut. Nimmt man das, was ein Volk mit seiner jeweils angenommenen Göttlichkeit verbindet, zum Ziel, so beraubt man es seiner Wurzeln. In anderen Worten: Man gibt es dem Schattenreich anheim.

Aber es gibt noch Schlimmeres. Indem er sein dreckiges Gebaren in Szene setzt und Grausamkeiten wie die Enthauptung des Konservators von Palmyra verübt, hat der Daesh die Grenzen zur schlimmsten Unmenschlichkeit überschritten.

Angesichts dieser Gräuel sollten wir lernen, die erleuchtete und erleuchtende Botschaft der alten Steine zu hören und sie zu schützen. Von Stonehenge zum Taj Mahal und zur Kathedrale von Chartres: Sie stehen für den wertvollsten Teil des Menschen, der sucht. Sie verbinden ihn mit dem, was über ihn hinaus geht.

Pierre-Alexandre Joye (Übersetzung T. M.)

 

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