Alpina 6-7/2005

Früh schon wurde in den Logen musiziert und gesungen, zuerst beim heiteren Beisammensein nach der rituellen Arbeit, später – vor allem seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts – auch im Ritual. Die Lieder bei der Tafel waren zunächst oft freimaurerisch adaptierte Volkslieder, teilweise sogar ausgesprochene Gassenhauer. Zeitgenössischen Zeugnissen zufolge waren die frühen Freimaurer durchaus lustige Brüder, Männer, die schon einmal über die Stränge schlugen, wie etwa der Maler und Kupferstecher William Hogarth – selbst Freimaurer – auf seinem Stich «Nacht» aus dem bekannten Tageszeiten-Zyklus zeigt, wo eine empörte Bürgerin über dem lärmend nach Hause schwankenden Freimaurer gar das Nachtgeschirr entleert.Das Thema «Musik im Tempel» wurde noch nicht erschöpfend dargestellt. Dabei ist die Musik in der Freimaurerei von erheblichem Stellenwert. Es ist keineswegs so, dass sie nur als Pausenfüller oder als Hintergrundsound eingesetzt werden darf. Richtig ausgewählt und auch mit Gefühl und Sachkenntnis eingesetzt, kann die Musik das Ritual nicht nur unterstützen, sondern auch erheben. Deshalb geben wir einem Berufsmusiker, Walter Baer, das Wort, der sich dafür einsetzt, dass man im Ritual nicht nur die klassischen Melodien spielt, sondern auch zeitgenössische Musik. Da ist aber Robin Marchev, der sich gründlich mit den freimaurerischen Ritualen auseinandergesetzt und auch zum Teil neu in unserer Sprache geschrieben hat, nicht so sicher. Nach ihm muss die Ritualmusik harmonisch klingen und den Text des Rituals unterstützen. Es wäre interessant, auch andere Stimmen zu diesem wichtigen Thema zu hören.

Musik ist eine Kunstform, die in erster Linie das Gefühl anspricht. Sie ist, im Gegensatz zu andern Kunstrichtungen, nicht gegenständlich und in ihrer Wirkung auf den Hörer an kein Dogma gebunden. Das heisst mit andern Worten: Jeder Hörer kann und wird Musik anders empfinden. Musik, eingebunden in die Tempelarbeit, soll die Dimension des Rituals in seiner Eindringlichkeit vertiefen. Das gelingt aber nur unter zwei Voraussetzungen: Zum einen muss sich Musik in die emotionale Aura des rituellen Geschehens einfügen, zum andern muss der Bruder bereit sein, sich ihrer Wirkung zu öffnen.

Die Geselligkeitsfreimaurerei des 18. Jahrhunderts pflegte musikalisch das Gesellschaftslied, während die Gesinnungsfreimaurerei unserer Tage der Musik eine Gefühls- und Stimmungserhebung zuweist. In ihr verbirgt sich eine grosse assoziative Kraft. Die freimaurerische Musik hat keinen andern Zweck, als die Gemeinschaft der Brüder durch das Erzeugen eines gleichartigen psychischen Zustandes geistig und emotional vorzubereiten (wie die Kirchenmusik). Das Erklingen der ersten Töne beim Eintritt in den Tempel zieht den Bruder aus dem profanen Leben heraus und stimmt ihn ein auf die bevorstehende Arbeit.

Alfred Messerli   
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