Unterschied zwischen Heiligem und Profanem
(Alpina 6-7/2013)
Eigentlich sind die ersten Gedanken, kaum hat
sich der Körper aus dem Bett geworfen, recht
profaner Natur. Sie drehen sich um den herannahenden
Tag mit seinen beruflichen, physischen und
psychischen Herausforderungen oder um den
feuchtfröhlichen Abend zuvor; oder noch
grundlegender um die Frage, wie dieses schlecht
gelaunte, unrasierte Gesicht überhaupt in den
Spiegel kommt. Vielleicht erhellt sich dieses bald
wieder beim Gedanken an den unverkennbaren Duft
eines frischen Kaffees.
Die Gedanken sind frei! Und sie kurven frei im
Kosmos von Sepp Trütsch (lebt er noch?), Lady Gaga
(spinnt sie schon?) und Prinz William (welcher ist
es nun denn schon wieder?) – vielleicht schweben gar
noch ein paar Fetzen des gestrigen porno-ähnlichen
TV-Werbespots im Kopf herum.
Alles profan! Ich nehme ein Wörterbuch zur Hand
und schlage diesen alltäglichen Begriff «profan»
einmal nach. Dabei lese ich: Profan (im 17.
Jahrhundert gebildet aus lat. profanus: «ungeheiligt,
gemein, ruchlos», eigentlich: «sich vor dem
Heiligtum befindend», aus lateinisch fanum,
«heiliger Ort». Somit stehen sich heilig und profan
diametral entgegen. Etwas, was heilig ist, kann
nicht profan sein; und etwas was profan ist, kann
nicht heilig sein. Wirklich? Werden da heute nicht
die Grenzen verwischt? Aus Heiligem
(wortgeschichtlich abstammend von ganz, gesund) wird
Alltägliches. Dies kann die Sexualität sein, die im
Zuge der Bilderflut und Sexualisierung vieler Themen
ihre Besonderheit – ihre Verletzlichkeit verloren
hat. Das können aber auch Familienrituale sein, die
sich einfach im Zuge der Hektik – nein: der
verschobenen Priorisierung abgeschliffen und somit
abgeschafft haben. Diese Profanisierung (Entweihung,
Entwürdigung) ist es, die den Menschen das Salz im
Leben nimmt. Im Gegenzug wird Profanes heilig; und
Schauspieler und Sängerinnen werden zu Ikonen. Es
ist eine verkehrte Welt, in der wir leben – und doch
sollten wir den Zauber des Alltags einmal in unseren
Spiegel lassen; dann erkennen wir, dass wunderbare
Dinge neu entstanden sind oder immer noch sind –
unentdeckt bisher, aber frisch und willig, sich uns
zu entfalten. Denn wer sagt uns denn, was heilig und
was profan ist? Wir selber! Und wer sagt denn, dass
ein Stück profanes Holz nicht auch etwas Heiliges an
sich hat?
Adrian Bayard
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